
In einer wegweisenden Entscheidung hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) die Rechtswidrigkeit eines geplanten Verkehrsversuchs in der Stadt Gießen festgestellt. Die Beschwerde der Stadt gegen einen vorangegangenen Beschluss des Verwaltungsgerichts wurde zurückgewiesen. Damit steht fest: Die geplanten Änderungen im Verkehrssystem der Stadt sind nicht mit dem geltenden Recht vereinbar.
Umstrittene Verkehrspläne der Stadt Gießen
Die Stadt Gießen hatte vor, die Verkehrsführung auf dem Anlagenring rund um die Innenstadt in mehreren Phasen grundlegend zu verändern. Ein Hauptaugenmerk lag auf der Einrichtung einer zweispurigen Fahrradstraße. Drei verkehrsrechtliche Anordnungen, die Straßen wie die Braugasse, die Landgrafenstraße und die Senckenbergstraße betrafen, wurden im Zuge der ersten Umbauphase getroffen.
Eilantrag von Anwohnern erfolgreich
Zwei Anwohner hatten gegen diese Anordnungen vor dem Verwaltungsgericht Gießen erfolgreich einen Eilantrag gestellt. Die Stadt legte daraufhin Beschwerde ein, die nun vom VGH abgelehnt wurde.
Vernachlässigte Sicherheitsbedenken
Der 2. Senat des VGH, zuständig für Verkehrsrecht, erklärte, dass für die Anordnung eines Verkehrsversuchs eine Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung des Straßenverkehrs festgestellt werden müsse. Die Stadt habe jedoch weder eine solche Gefahr noch besondere Umstände plausibel dargelegt. Darüber hinaus habe die Stadt die Bedenken des Polizeipräsidiums Mittelhessen und des Regierungspräsidiums Gießen, die erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit und Sinnhaftigkeit des Versuchs geäußert hatten, nicht ausreichend berücksichtigt.
Ignorierte Alternativen und unklare Notwendigkeit
Die Stadt habe auch nicht ausreichend geprüft, ob alternative Radverkehrsführungen durch die Innenstadt möglich wären. Zudem sei nicht klar, warum der gesamte Anlagenring in den Verkehrsversuch einbezogen werden müsse, insbesondere angesichts der hohen Bedeutung des Anlagenrings für den Autoverkehr und der vergleichsweise geringen Nutzung durch Radfahrer.
Klimaschutz als Begründung unzureichend
Der VGH stellte klar, dass Klimaschutzüberlegungen allein nicht ausreichen, um eine verkehrsrechtliche Anordnung zu begründen. Diese könnten nur im Rahmen der Ermessensentscheidung berücksichtigt werden, wenn verschiedene Modelle zur Gefahrenbeseitigung zur Auswahl stünden.
Unanfechtbarer Beschluss
Der Beschluss des VGH ist im verwaltungsgerichtlichen Instanzenzug nicht anfechtbar, was bedeutet, dass die Stadt Gießen ihre Pläne für den Verkehrsversuch nicht weiterverfolgen kann, es sei denn, sie überarbeitet diese grundlegend in Übereinstimmung mit den rechtlichen Vorgaben.
Dieser Fall zeigt, dass bei der Planung von Verkehrsprojekten eine sorgfältige rechtliche Prüfung und eine umfassende Berücksichtigung aller beteiligten Interessen unerlässlich sind. Es bleibt abzuwarten, wie die Stadt Gießen auf diese Entscheidung reagieren wird und welche Auswirkungen sie auf ähnliche Projekte in anderen Städten haben könnte.
Mit dieser Entscheidung des VGH wird die Debatte um die Gestaltung des städtischen Verkehrs und die Priorisierung des Fahrradverkehrs sicherlich weiter angefacht. Es stellt sich die Frage, wie Städte ihre Verkehrsinfrastruktur modernisieren können, ohne dabei rechtliche Grenzen zu überschreiten.