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Kletterer lassen Sterbende einfach zurück – Die Schande des K2

10. August 2023 – 07:35 Uhr

Unwürdige Momente am zweithöchsten Berg der Welt: Nach seinem Absturz am K2 liegt der pakistanische Träger Mohammad Hassan im Schnee. Zu diesem Zeitpunkt war er noch am Leben. Unzählige Kletterer sollen auf dem Weg zum Gipfel über ihn hinweggestiegen sein – schließlich starb Hassan, ohne dass Rettungsversuche unternommen wurden.

Kletterer lassen Sterbende einfach zurück - Die Schande des K2

Als Wilhelm Steindl (30) und sein Begleiter, der deutsche Kameramann Philip Flämig (54), am Tag nach ihrem Abstieg vom K2 Drohnenaufnahmen ihrer abgebrochenen Expedition ansahen, konnten die beiden Kletterer ihren Augen nicht trauen. In den frühen Morgenstunden des 27. Juli filmten sie schockierende Szenen am berüchtigten “Engpass”, die einmal mehr den Rekordjagd auf den höchsten Bergen der Welt in ein schockierendes Licht rückten: Dutzende Bergsteiger waren zu sehen, wie sie einen verletzten pakistanischen Träger zurückließen – und er starb schließlich, ohne dass Rettungsversuche unternommen wurden.

Steindl, ein österreichischer Hotelier, der ein 4-Sterne-Hotel in Kirchberg (Tirol) betreibt, ist leidenschaftlicher Bergsteiger. Er eroberte erst im letzten Jahr den Mount Everest, bestieg unter anderem das Matterhorn und den Mont Blanc.

Wilhelm Steindl (hier vor dem Gipfel des K2) kritisiert scharf die anderen Kletterer, aber auch die Bedingungen für pakistanische Träger.

Für diesen Tag hatte Steindl den zweithöchsten Berg der Welt, den berüchtigten K2, geplant. Nach monatelanger Vorbereitung wollte er seinen nächsten Achttausender besteigen. Aber für ihn war es nur ein Versuch – und so wurden Steindl und Flämig unfreiwillige Zeugen schändlicher Momente. Die österreichische Zeitung “Der Standard” berichtete zuerst über den Fall.

Der Österreicher beschreibt das K2-Drama in BILD: “Ich erreichte den Engpass gegen 2 Uhr morgens. Dort wartete ich auf den Rest meiner Expedition. Plötzlich löste sich eine Lawine aus, verfehlte knapp eine Gruppe von Bergsteigern. An diesem Punkt beschlossen wir abzubrechen und umzukehren. Das war uns zu gefährlich.”

Steindl gibt an, zu diesem Zeitpunkt nicht gewusst zu haben, dass ein Träger abgestürzt war. Sein Begleiter Philip Flämig dokumentierte jedoch mit einer Drohnenkamera gut anderthalb Stunden lang, was passierte, bis sie mit dem Abstieg begannen.

Das Opfer griff nach den Füßen der Kletterer

Steindl: “Auf dem Weg nach unten hörten wir im Camp 2, dass jemand gestorben war. Am Tag danach spielten wir das Videomaterial im Basislager ab. Dort lag der Mann auf dem Pfad, und es war offensichtlich zu erkennen, dass er noch am Leben war.”

Während Steindl und Flämig nach der Lawine ihren Aufstieg abbrachen, stürmten andere Expeditionen rücksichtslos auf den Gipfel zu – und kletterten einfach über das Opfer auf dem schmalen Pfad hinweg. Steindl war schockiert: “Augenzeugen erzählten uns sogar, dass der Mann nach den Füßen anderer Kletterer gegriffen hat, um Hilfe zu bekommen.” Doch sie gingen einfach weiter.

Das kurze Twitter-Video eines anderen Kletterers zeigt die Situation vor Ort:

Kletterer lassen Sterbende einfach zurück - Die Schande des K2

Laut Steindl war der verletzte Mohammad Hassan nicht ausreichend auf die Expedition vorbereitet und wurde von erfahrenen Bergsteigern allein gelassen.

► Unwürdig: Während der Träger, ein 27-jähriger Pakistani, der laut Steindl unerfahren und schlecht ausgerüstet war, um sein Leben kämpfte, feierte die norwegische Extrembergsteigerin Kristin Harila einen neuen Bergrekord am Gipfel: Harila eroberte alle 14 Achttausender in nur 92 Tagen. Damit brach sie den vorherigen Rekord von 189 Tagen, aufgestellt vom Nepalesen Nirmal Purja im Jahr 2019. Neben Harila hatten laut Flämig zwei weitere Kletterer ebenfalls einen Rekord im Visier.

Kletterer lassen Sterbende einfach zurück - Die Schande des K2

Während Hassan um sein Leben kämpfte, stellte die Norwegerin Kristin Harila einen neuen Achttausender-Rekord auf: Sie eroberte alle 14 Gipfel in nur 92 Tagen.

Kletterer lassen Sterbende einfach zurück - Die Schande des K2

Steindl beschwert sich: “Es ist unglaublich, ich habe so etwas noch nie erlebt. So etwas wäre in den Alpen undenkbar gewesen. Er wurde wie ein Bürger zweiter Klasse behandelt. Hätte es sich um einen Westler gehandelt, wäre er sofort gerettet worden. Also fühlte sich niemand für ihn verantwortlich.”

Zudem kritisiert Steindl, dass niemand wirklich in der Lage war, eine Rettungsaktion einzuleiten: “Sie wussten einfach nicht, wie.”

Kletterer lassen Sterbende einfach zurück - Die Schande des K2

Der Filmemacher Philip Flämig (links) und Wilhelm Steindl brachen ihre Expedition ab.

Unterstützung für die Familie des Verstorbenen

Mit seinen Schilderungen möchte Steindl einerseits auf Missstände und kontroverse Methoden beim Bergsteigen hinweisen, andererseits möchte er finanziell der Familie

des Verstorbenen helfen. Kurz nach ihrem Abstieg erfuhr das Duo, dass der Träger eine schwer kranke Mutter, seine Frau und drei kleine Kinder hinterlässt.

Steindl zu BILD: “Mohammad Hassan hat diesen gefährlichen Job angenommen, um seinen Kindern eine Ausbildung ermöglichen zu können. Das möchten wir nun tun.” Kurzerhand fuhren er und Flämig in ein Bergdorf in der Region Tissa, wo Hassans Familie in ärmlichsten Verhältnissen lebt.

Kletterer lassen Sterbende einfach zurück - Die Schande des K2

Nachdem er vom Schicksal des Trägers erfahren hatte, besuchte Steindl die Familie des Verstorbenen. Er hinterlässt eine schwer kranke Mutter, seine Frau und drei Kinder.

Steindl: “Wir haben vorerst all unser Bargeld, rund 2500 Dollar, für die Frau dagelassen.” Dennoch versucht er nun, Geld für die Schulausbildung der Kinder aufzubringen. “Und auch in Pakistan muss sich etwas ändern, in Bezug auf Ausbildung und Ausrüstung für Bergarbeiter.”

Steindl und Flämig haben bereits einen Teilerfolg erzielt: Gegen die pakistanische Agentur Lela Peak, die Träger für Expeditionen vermittelt, wurde eine offizielle Untersuchung eingeleitet.

Wilhelm Steindl hat auf der Spendensammelplattform GoFundMe eine Spendenaktion gestartet, um der Familie von Mohammad Hassan bestmöglich zu helfen.

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